Texte
Links wählen in Europa!
Artikel erschienen in „Rotdorn“ 2/2009
von Sahra Wagenknecht und Ruth Firmenich
Am 7. Juni ist Europawahl. Man kann fast schon beim Schreiben das Gähnen hören, das dieser Satz auslöst. Denn es gibt wenig, was auf ein noch geringeres Interesse stößt als eine Europawahl. Im Jahr 2004 gingen gerade einmal 43% der wahlberechtigten Deutschen an die Wahlurne, 1999 waren es noch 60% gewesen. In anderen Ländern liegt die Wahlbeteiligung noch darunter, in der Slowakei erreichte sie nicht einmal 17%. Zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl 2005 gaben immerhin 77,7% ihre Stimme ab, und dies war schon weniger als noch 2002, wo 79,1% zur Wahl gegangen waren. In der geringen Wahlbeteiligung spiegelt sich das, was jeder beklagt, der schon einmal in Brüssel gearbeitet hat: Es gibt kaum ein Thema, das so wenig Begeisterung erzeugt wie Europapolitik.
Man könnte jetzt sagen: Zu Unrecht! Aber – die Aussage stimmt! Es gibt in der Tat wenig Grund zur Begeisterung, wenn man sich die Politik der EU ansieht! Und es gibt noch weniger Anlass zum Optimismus, wenn man an die Zukunft denkt. In den letzten Jahren hat sich das Klima in Europa immer weiter verschärft. Die Schere zwischen Reich und Arm ist immer mehr auseinander gegangen, auch als Resultat der Politik, die von der Europäischen Union gemacht worden ist. Hartz IV in Deutschland ist nichts anderes als die Umsetzung der Politik der so genannten Flexibilisierung und Modernisierung, wie sie die EU mit ihrer Lissabon-Strategie im Jahr 2000 konzipiert hat.
Ziel dieser Strategie war, die EU auf Biegen und Brechen binnen zehn Jahren zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum weltweit zu machen. Ab sofort galt: Gut ist was diesem Ziel nützt. Damit war die Blaupause dafür geschrieben, die Sozialsysteme zu reformieren, sprich Leistungen zu kürzen und zu privatisieren. Gleichzeitig wurden Regulierungen abgebaut, sei es im Finanzsektor, bei Dienstleistungen, sei es im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge bis hin zur Bildung. Der Markt sollte alles richten, alles besser, billiger, verbraucherfreundlicher und schöner machen. Und vor allen Dingen sollte die EU mit dieser Politik zur führenden Wirtschaftsmacht der Welt werden. Wohin dies geführt hat, sehen wir heute.
Dem selbst erklärten Ziel ist man nicht viel näher gekommen. Was aber gelungen ist, ist die Politik der Deregulierung und Privatisierung in großem Maßstab durchzusetzen und damit das Prinzip einer sozialen und solidarischen Gesellschaft immer mehr auszuhöhlen. Ein Prozent der Reichsten in der EU besitzen knapp die Hälfte des gesamten privaten Geldvermögens. 43 Millionen Menschen in der EU, also fast 10%, können es sich nicht leisten, jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder Geflügel zu essen. Jedes 5. Kind in der EU – insgesamt 19 Millionen – lebt in Armut oder ist davon bedroht.
Auch die derzeitige Wirtschaftskrise kam nicht unverschuldet über die EU. Nur zu gern hat die EU Finanzkontrollen abgebaut und Spekulationen den Weg geebnet. Noch vor kurzem galten die baltischen und andere osteuropäische Länder als wirtschaftspolitische Vorbilder: weitgehend regulierungsfrei, mit flat tax, also Pauschalversteuerung, in Estland konnte man sich Kredite sogar per sms besorgen. Nun ist die Blase geplatzt und der Katzenjammer groß. Staaten wie Lettland, Ungarn und Rumänien stehen vor dem Bankrott, es gibt keine Mittel, um die Wirtschaft mit Konjunkturpaketen zu stärken und der IWF verordnet rigide Sparprogramme. Wen diese treffen werden, ist klar. Nicht diejenigen, die die Gewinne der Vergangenheit eingefahren haben und schon in den Startlöchern stehen, um die Profite der Zukunft einzukassieren. Gespart werden soll wie üblich an den Sozialausgaben. Zumindest an dem, was davon nach den bisherigen Liberalisierungsjahren noch übrig ist.
Neben den katastrophalen sozialpolitischen Auswirkungen, die die Wirtschaftskrise hat, sind auch gravierende Konsequenzen für die politische Landschaft in Europa zu erwarten: In der EU gewinnen die Rechten angesichts von Sozialabbau und drohender Massenarbeitslosigkeit verstärkt Zulauf. In Ungarn, dessen Regierung gerade über die Finanzkrise gestürzt ist, mobilisiert die rechtsradikale Jobbik massiv und droht die 5-Prozent-Hürde bei den kommenden Europawahlen zu überspringen. Auch in anderen Ländern zeichnet es sich ab, dass Rechtsaußen-Parteien in das Europaparlament einziehen werden, so dass eine Neuauflage einer offen faschistischen und rassistischen Fraktion droht. Bereits im Jahr 2007 war dies nach dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens möglich geworden, die mit einer Reihe rechtsradikaler Abgeordneten dafür sorgten, dass die zur Fraktionsbildung nötige Anzahl von Abgeordneten erreicht wurde. Es waren einzig innerrassistische Auseinandersetzungen zwischen Alessandra Mussolini und den Vertretern der antisemitischen Großrumänischen Partei, die die Fraktion „Identität, Tradition, Souveränität“ (ITS) binnen einiger Monate wieder auseinander brechen ließ. Damit dies nicht wieder passiert, gibt es bereits im Vorfeld der diesjährigen Europawahlen eine Intensivierung der Kontakte. So trafen sich im Februar Vertreter ultrarechter Parteien, unter ihnen der belgische Vlaams Belang und die bulgarische Ataka, zu einer Tagung in Wien, um über die zukünftige Kooperation in Europa zu sprechen.
Einen Vorgeschmack auf das, was zu erwarten steht, wenn diese Kräfte im Europaparlament weiter an Einfluss gewinnen, gab es erst in der vergangenen Plenarwoche in Strasbourg: Jean-Marie Le Pen vom französischen Front National ergriff das Wort und verharmloste die Gaskammern der Nationalsozialisten als ein „Detail der Geschichte“. Unterstützt wurde er vom ebenfalls gerichtsnotorischen Holocaustleugner und früheren Fraktionsvorsitzenden der gescheiterten ITS, Bruno Gollnisch. Angesichts dieses Eklats gewinnt nun die Sorge an Gewicht, dass Le Pen bei seinem zu erwartenden Wiedereinzug als möglicher Alterspräsident die erste Sitzung des neuen Parlaments leiten könnte. Doch auch wenn sich dies noch über eine Änderung der Geschäftsordnung verhindern ließe, steht zu befürchten, dass der Einfluss der Ultrarechten im nächsten Europaparlament weiter wachsen wird. Und auch in der so genannten Mitte wird es Veränderungen geben. So wird der Einfluss von Berlusconi stark steigen, nachdem sich seine Forza Italia gerade mit der postfaschistischen Alleanza Nazionale zum „Volk der Freiheit“ verbunden hat.
Düstere Aussichten also für Europa. Umso wichtiger ist es, eine starke LINKE in Europa zu haben. Den rechten Kräften in der EU muss klarer Widerstand entgegengesetzt werden! Und es gilt, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie diesen, für eine neue, andere Politik einzustehen. Für Umverteilung und Ausgleich zwischen Arm und Reich! Für ein solidarisches und soziales Europa, ein weltoffenes Europa, ohne Rassismus und Rechtsradikalismus! Der 7. Juni ist deshalb ein sehr wichtiger Termin. Gerade weil es um Europa geht!
Sahra Wagenknecht ist Europaabgeordnete der LINKEN und kandidiert im September für den Bundestag. Ruth Firmenich ist ihre Mitarbeiterin in Brüssel und kandidiert für die LINKE bei den Europawahlen im Juni.
Am 7. Juni DIE LINKE wählen!
erschienen in Uff´n Wedding, Mai 2009
Am 7. Juni ist Europawahl. Ein wichtiger Termin – denn Brüssel spielt eine wichtige Rolle auch für Politik in Deutschland. So ist die EU maßgeblich dafür verantwortlich, dass Arbeitsmärkte immer weiter flexibilisiert werden. Was dies bedeutet, sehe ich in Brüssel jeden Tag. Ich arbeite seit sechs Jahren im Europäischen Parlament und bin dort Vorsitzende der Vereinigung der parlamentarischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele arbeiten seit Jahren ohne soziale Absicherung, manche sogar ohne Krankenversicherung, oft als Scheinselbständige und zu miserablen Löhnen. Nun endlich, nach jahrelangem Druck, ist eine Neuregelung mit klaren Rechten beschlossen worden! Das ist ein großer Erfolg und zeigt, wie wichtig es ist, Widerstand zu leisten!
Was für Brüssel gilt, gilt überall. Gerade in der jetzigen Krise, wo Millionen von Arbeitsplätzen in Gefahr sind und viele Menschen von Armut bedroht sind. Notwendig ist eine Neuorientierung der Politik! DIE LINKE steht für Ausgleich und Umverteilung, für eine strikte Kontrolle der Finanzmärkte und gerechte Steuern. Wir wollen sichere und gute Arbeitsplätze schaffen – auf der Basis von Mitarbeiterbeteiligung, bindenden Sozialstandards und europaweiten Mindestlöhnen. Öffentliche Dienstleistungen müssen für alle Menschen unabhängig vom Einkommen gesichert sein. Am 7. Juni geht es darum, für eine andere, linke Politik zu stimmen – für ein soziales, gerechtes und solidarisches Europa für alle hier lebenden Menschen!
Qimonda muss überleben – die EU jetzt in die Pflicht nehmen!
Februar 2009
EU-Mittel für Qimonda brachte der neue Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel ins Gespräch und erzeugte so einen Funken Hoffnung, was die Zukunft des insolventen Unternehmens betrifft. Denkbar sei eine Unterstützung aus dem EU-Fonds für regionale Entwicklung, unter der Voraussetzung, dass es ein gutes Strukturkonzept gäbe. Zudem habe er die EU-Kommission gebeten, die besondere Stellung Qimondas zu berücksichtigen, wenn es um die Prüfung möglicher Bundesmittel für den insolventen Konzern gehe. In Zeiten der Wirtschaftskrise ändern sich Positionen: Während sonst von konservativer Seite das Loblied des freien Marktes gesungen wird und Ex-Wirtschaftsminister Glos 2008 nur ein einziges Mal in Brüssel erschien, geht es nun darum, EU-Hilfen auszuloten. Es bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission die angekündigten flexibleren Lösungen aufgrund der Krise auch umsetzt. Zweifel bleiben jedoch angebracht: Schließlich hat sich die zuständige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes bisher als vehemente Gegnerin so genannter staatlicher Beihilfen profiliert. Ganz zu schweigen von EU-Industriekommissar Günter Verheugen (SPD), der im Fall Qimonda darauf verwies, EU-Mittel seien nicht zur Rettung von Unternehmen gedacht und mit Eiseskälte hinzufügte: „Niemand kann ein Unternehmen retten, das sein Eigentümer nicht retten will.“
Bis Ende März muss ein Investor gefunden werden, um das endgültige Aus für Qimonda und seine Mitarbeiter doch noch abzuwenden. Ohne massive staatliche Unterstützung dürfte dies so gut wie unmöglich sein: Die Fertigung von Speicherchips leidet seit Jahren unter großen Schwierigkeiten und ist eine im hohen Maße subventionsabhängige Branche. Der Konkurrenzdruck insbesondere aus Asien ist enorm und durch die akute Wirtschaftskrise noch massiv verstärkt worden. Qimonda, das bereits in den vergangenen Jahren hohe Verluste eingefahren hatte, ist wie sein Mutterkonzern Infineon, der mehr als Dreiviertel der Anteile an Qimonda hält, massiv von globalen Überkapazitäten bei gleichzeitigem Nachfrageeinbruch betroffen. Die in ihren besten Zeiten zu einem Preis von mehr als 90 Euro gehandelten Infineon-Aktien werden mittlerweile an der Börse verramscht. Dennoch hätte das Schicksal Qimondas noch abgewendet werden können, hätte der Konzern Ende des Jahres auf schnelle staatliche Unterstützung zählen können. Dies war jedoch nicht der Fall. Das Land Sachsen hatte zwar zusammen mit Portugal sowie Infineon ein Rettungspaket aufgelegt, allerdings nicht in benötigter Höhe. Die Rettung platzte, als neuer Finanzbedarf bekannt wurde.
Doch es sind nicht nur die 3200 unmittelbaren Mitarbeiter und ihre Familien, die das Schließen Qimondas trifft. Letztlich geht es um den Weiterbestand ganz „Silicon Saxonys“. Die Ansiedlung der Halbleiter-, Elektronik- und Mikrosystemindustrie war im Jahr 2000 beschlossen worden, um die Abhängigkeit von nicht-europäischen Anbietern zu verringern. Dass dies massive Subventionen von staatlicher Seite erforderlich machte, war klar, schließlich wird auch die Chipherstellung in Asien mit bis zu 70 Prozent subventioniert. Um im globalen Standortwettlauf mithalten zu können, war deshalb staatliche Unterstützung unabdingbar – und sie floss: Allein Qimonda Dresden erhielt mehr als 200 Millionen Euro vom Bund und dem Land Sachsen.
Angesichts dieses Hintergrunds wäre es umso unverständlicher, Qimonda nun einfach aufzugeben. Notwendig ist eine ganz andere Strategie: Staatliche Unterstützung muss gewährt werden, um die Arbeitsplätze zu retten und die sonst drohenden katastrophalen Folgen für die gesamte Region abzuwenden. Anstelle jedoch über öffentliche Mittel indirekt erneut die neuen zukünftigen Profite von Aktionären zu steigern, wie es in der Vergangenheit der Fall war, muss es nun um darum gehen, eine Neuorientierung der Unternehmenspolitik vorzunehmen. Die Halbleiterindustrie ist eine strategische Branche. Sie muss als öffentliches Unternehmen umstrukturiert werden. Jetzt ist die Gelegenheit, die Mitarbeiterbeteiligung auszuweiten und den Einstieg in die Vergesellschaftung des Unternehmens zu beginnen. Das System schneller Gewinne für wenige in den guten Zeiten und Abwicklung der Unternehmen im Fall wirtschaftlicher Schwierigkeiten muss ein Ende haben. Entscheidend ist: Die Arbeitsplätze müssen langfristig gesichert werden. Hierfür ist auch die EU mitverantwortlich. Dies ist man einem Unternehmen wahrhaft schuldig, das wie Qimonda am 1. Mai gegründet wurde!
Bildung für die Wirtschaft – Die EU-Bildungspolitik
Februar 2007
„Wir brauchen lebenslanges Lernen für eine lebenslange Einkommenssicherung.“ Mit diesen Worten machte EU-Bildungskommissar Ján Figel´ klar, dass für ihn nur die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Bildung zählt. Diese Einstellung wird von der Bundesregierung geteilt, die gerade erst das EU-Programm „Lebenslanges Lernen“ zu einem bildungspolitischen Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft erklärt hat. Nicht ohne Grund, ist dieses Programm doch bestens dafür geeignet, die Bildungspolitik in der EU grundlegend neu auszurichten.
Formal ist die EU laut EG-Vertrag zwar nur für die „europäische Dimension“ der Bildung zuständig; Bildungsinhalte und –systeme liegen in der Kompetenz der einzelnen Staaten. Dennoch üben EU-Empfehlungen und -Projekte maßgeblichen Einfluss auf die Bildungspolitiken der Mitgliedstaaten aus. Erklärte Absicht der EU ist es, eine größere Einheitlichkeit herzustellen, Bildungspolitik kompatibler zu machen und stärker auf die grundlegenden Zielvorstellungen der EU-Politik auszurichten. Die EU-Bildungspolitik ordnet sich dabei ein in die „Lissabon-Strategie“, die von den EU-Regierungschefs im Jahr 2000 festgelegt wurde und die die EU mit neoliberalen Strukturreformen bis zum Jahr 2010 zum „dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ machen soll. Auf Regierungsebene und weitgehend ohne parlamentarische Kontrolle sollen gemeinsame Ziele vereinbart werden – auch in der Bildungspolitik.
Umgesetzt werden dabei konkrete Forderungen der Wirtschaftsverbände – der europäische Unternehmerverband ERT (European Roundtable of Industrialists) und Businesseurope, der europäische Arbeitgeberverband, beraten die EU-Kommission seit mehr als 10 Jahren auch im Bildungsbereich. Ihnen geht es nicht um Bildung, sondern um Profit. Bildung ist ein riesiger Wirtschaftszweig. Im Jahr 2003 machten in den EU-Mitgliedstaaten die Ausgaben für Bildung durchschnittlich 5,6% des Bruttoinlandsprodukts aus, in Deutschland lagen sie bei 5,3%. Mehr als 90% stammten aus öffentlichen Mitteln. Es gibt also viel zu verdienen. Um dies zu erreichen, muss der Bildungsbereich allerdings entsprechend umstrukturiert werden.
Die Wirtschaft kann dabei auf Unterstützung der Politik zählen. Angesichts von Millionen Arbeitslosen geht es ihr vor allem um den schnellen Erwerb der Fähigkeiten, die die Industrie gerade braucht – und um eine Entlastung der öffentlichen Haushalte. Unter den Schlagworten Modernisierung, Flexibilisierung und Eigenverantwortung wird der Bildungssektor so systematisch umgestaltet. Die Wirtschaft profitiert dabei dreifach: Zum einen von maßgeschneiderter Bildung; zum anderen davon, dass sie das technische Equipment für moderne Bildungskonzepte verkaufen kann – Stichwort computergestütztes e-learning. Und drittens erschließt sich durch die Privatisierung von Bildung ein gigantischer neuer Dienstleistungsmarkt. Während Studiengebühren erhoben und Weiterbildung gestrichen wird, propagiert man „lebenslanges Lernen“ und definiert wie EU-Kommissar Figel´ das Recht auf Bildung in eine individuell zu erbringende und zu finanzierende Pflicht um, sich zu bilden, bei deren Nichterfüllung die ökonomische Existenzsicherung in Frage steht.
Langfristig droht ein Ausverkauf von Bildung – mit unabsehbaren Folgen für einkommensschwache Bevölkerungssektoren, aber auch für bevölkerungsarme Regionen, deren Bildungseinrichtungen mit Verweis auf technische Möglichkeiten weiter ausgedünnt werden könnten. Leidtragende werden auch Frauen sein, da viele angesichts mangelnder Kinderbetreuung und weiterhin niedrigerer Verdienstmöglichkeiten zukünftig auf kostengünstigere geringere Bildung setzen dürften. Von weiteren sozialen Folgen ganz zu schweigen, schließlich ist Mangel an Bildung das größte Armutsrisiko.
Wer wie die EU auf Privatisierung und Eliteförderung statt umfassender Bildung für alle setzt, spielt mit hohem Einsatz: Nicht der kurzfristige Erwerb rein ökonomisch ausgerichteter Bildungsinhalte, sondern ein grundlegendes Verständnis für komplexe Sachverhalte befähigt dazu, auf sich wandelnde Anforderungen angemessen reagieren zu können. Bildung hat große Bedeutung, was den Erwerb sozialer Kompetenzen, was Konfliktbewältigung, Analysefähigkeit und Problembewusstsein betrifft – Kompetenzen, die heute wichtiger sind denn je. Der Erwerb dieser Kenntnisse fördert jedoch auch Kritikfähigkeit und damit die Möglichkeit, bestehende gesellschaftliche Verhältnisse zu hinterfragen und ihre Veränderung anzustreben. Wie wichtig dies ist, zeigt nicht zuletzt Ján Figels Aussage.